Einsamkeit und Gemeinschaft.
Der spannende Weg zu deinem persönlichen Gleichgewicht.
Wer nicht allein sein kann, hüte sich vor der Gemeinschaft.
Dieser Satz von Dietrich Bonhoeffer stammt aus seinem Buch Gemeinsames Leben.
Bonhoeffer schrieb das Buch, nachdem das Predigerseminar, in dem er gemeinsam gelebt und gearbeitet hatte, von den Nationalsozialisten geschlossen wurde.
Das Thema ist nach einem Jahr Pandemie super aktuell. Nach einem Jahr von Einschränkungen, Distanz und Kontaktverboten. Wir sind völlig aus dem gewohnten Gang unserer Beziehungen gerissen. Alleinsein und Gemeinschaft muss wieder neu überdacht und gefüllt werden.
Durch den kommenden Sommer und die Impfungen kommt gerade wieder manches in Bewegung, da möchte ich dich einladen, über dein persönliches Gleichgewicht nachzudenken und es aktiv zu gestalten.
1. Keine Gemeinschaft ohne Einsamkeit, kein Zusammensein ohne Alleinsein.
Oft ist es doch so, dass Erlebnisse aus den prägenden Jahren ein ungutes bedrohliches Gefühl in Momenten aufkommen lässt, in denen man sich alleine und einsam erlebt. Da gab es möglicherweise Erlebnisse, in denen man sich überfordert oder alleingelassen vorgekommen ist.
Das legt dann die Lösung nahe, sich mit möglichst vielen oder engen Beziehungen einzudecken, um ja kein Alleinsein aufkommen zu lassen. Eine Beziehung, die da ist, um die Erfahrung des Alleingelassen worden seins zu kompensieren, ist eine missbräuchliche Beziehung, da geht es gar nicht um Begegnung, sondern um das eigene Wohlbefinden.
Da fordert dieser Satz von Bonhoeffer stark heraus. Er fordert dich heraus, immer wieder die konstruktive freiwillige Einsamkeit zu nutzen, um fähig zu werden zu offener Gemeinschaft auf Augenhöhe.
Heute kannst du deine inneren Überzeugungen neu definieren. Alleinsein geht nicht immer automatisch mit Überforderung einher. Du bist nun erwachsen und kannst die Chancen und Möglichkeiten der Einsamkeit entdecken.
Die Fähigkeit, gutes Alleinsein leben und füllen zu können, ist außerdem eine Grundlage für echte Gemeinschaft.
In der Einsamkeit wird auch deine Beziehung zu dir selber gefördert. Wenn es Zeiten in deinem Leben gibt, wo es sich gut und beglückend anfühlt, mit dir selbst zusammen zu sein, kommst du in die Lage, den Mitmenschen um dich herum mit Freiraum zu begegnen. Dann brauchst du sie nicht zwingend zu deinem Wohlbefinden.
Das gilt auch für die Paarbeziehung. Wenn du gerne und konstruktiv mit dir allein sein kannst, investierst du in die gemeinsame Beziehung.
Die wichtigsten Entscheidungen deines Lebens triffst du alleine.
Die zentralen Gefühle deines Lebens erlebst du alleine. Tiefes Glück, Trauer Angst usw. sind deine Gefühle .
Deine Nachfolge und dein Gebetsleben ist allein deine Entscheidung.
Jede Form der Kooperation ist allein deine Entscheidung.
Jetzt in der Pandemie wurdest du und ich zu Alleinsein gezwungen, doch erzwungenes Alleinsein ist selten gewinnbringend. Nun kannst du dir bewusst Zeiten einplanen, in denen du dieses Alleinsein nutzen willst, um deine Gemeinschaftsfähigkeit auszubauen.
„Wer auf der Flucht vor sich selbst bei der Gemeinschaft einkehrt, der missbraucht sie zum Geschwätz und zur Zerstreuung, und mag dieses Geschwätz und Zerstreuung noch so geistlich aussehen“. (Dietrich Bonhoeffer)
2. Kein Alleinsein ohne Zusammensein, keine Einsamkeit ohne Gemeinschaft
Hast du dir schon mal Gedanken gemacht, warum der Mensch sich nicht selber anschauen kann? Das ist doch merkwürdig- alles kann der Mensch betrachten nur sich selber sieht er immer schräg und verzerrt. Schau doch mal an dir herunter, betrachte dich mal ohne Spiegel- du siehst immer nur einen Ausschnitt und immer aus einer schrägen Perspektive. Um sich letztendlich selber zu betrachten, braucht der Mensch einen Mitmenschen. Ich erkenne mich im Gegenüber. In der Reaktion meines Gegenübers auf mich bekomme ich mich gespiegelt.
Deshalb liegt das Geheimnis guter Einsamkeit am Eingebettet sein in Beziehungen. Ohne Gemeinschaft verliere ich mich in schrägen Ansichten.
Vertiefung
- Was ist deine Methode, um das Alleinsein zu umgehen? Deckst du dich mit Begegnungen oder mit Action oder Arbeit ein?
- Welches Thema steht bei dir persönlich gerade im Raum, das allein zu klären ist?
- Wann in deinem Leben hast du zu viel Alleinsein gehabt? Was ist dir daraus hängen geblieben?
- Wie ist dein Gleichgewicht im Moment?
- Welche Beziehungen willst du jetzt, wenn sich die Einschränkungen lockern, neu fördern und vertiefen? Wo dein Beziehungsnetz ausbauen?
Dietrich Bonhoeffer hat die letzten Jahre seines Lebens in Haft verbracht. Er hat durch viele Briefe seine Beziehungen zur Familie, seiner Braut, seiner Bruderschaft, seinem Freund und der Widerstandsgemeinschaft gepflegt. Er hat sich konstruktiv der Herausforderung der Einsamkeit gestellt und uns tiefe Einblicke im Buch Widerstand und Ergebung geschenkt.
Die Bücher von Dietrich Bonhoeffer begleiten mich seit meiner späten Teenagerzeit. Sie haben manchen Umzug und Entrümpelungsaktion überlebt. Ich würde sagen, dass sie zu meinen Lieblingsbüchern zählen. Mit ihrer feinen, tiefsinnigen authentischen Art begeistern sie mich immer wieder.
Das zum Thema passende Buch ist: Gemeinsames Leben. Lass dich dazu verlocken es dir zu besorgen oder aus dem Regal zu kramen und dich weiter in das Thema zu vertiefen.
Bildrechte: A.Winkler